In der Bevölkerung in Deutschland steigt die Kompetenz an, mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie im alltäglichen Leben umzugehen. Das zeigt eine repräsentative Trendstudie zur Gesundheitskompetenz, die zum ersten Mal nach Ausbruch der Krise im März 2020 und zum zweiten Mal während der Krise im Dezember 2020 durch ein Studienteam des Interdisziplinären Zentrum für Gesundheitskompetenz (IZGK) und der Hertie School Berlin durchgeführt wurde. Vom Frühjahr bis zum Jahresende 2020 stieg der Anteil derer mit einer hohen Gesundheitskompetenz von 50,4 auf 64,5 Prozent an.
Trotz dieser positiven Entwicklung sind die Forschenden unter der Leitung von Orkan Okan von der Universität Bielefeld durch die Ergebnisse beunruhigt. Denn die Bevölkerungsgruppe mit geringer coronaspezifischer Gesundheitskompetenz, immerhin noch fast 35% aller Befragten, stellt in vielen Bereichen eine Risikogruppe dar: „Sie informiert sich weniger über Gesundheitsthemen, praktiziert seltener die AHA-Regeln und andere präventive Verhaltensweisen, verfügt über geringeres Wissen zum Coronavirus und über schützende Verhaltensweisen, steht dem Impfen skeptischer gegenüber und hat weniger Angst, sich anzustecken. Die Befunde deuten zudem darauf, dass eine geringe coronaspezifische Gesundheitskompetenz als Risikofaktor in andere Bereiche ausstrahlt. Dementsprechend wichtig ist es, diese Gruppe künftig bei der Stärkung der Gesundheitskompetenz besonders zu adressieren. Nicht weniger bedeutsam sind Maßnahmen, die darauf zielen, die Resilienz der Bevölkerung gegenüber solchen negativen Ausstrahlungseffekten zu stärken“.
Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:
- Vor allem junge Menschen tun sich schwer damit, Präventionsmaßnahmen einzuhalten. 41 Prozent der 16- bis 29-Jährigen setzen die AHA-Regel nicht vollständig um. Auch in der älteren Bevölkerung gibt die Hälfte der Befragten an, dass die vielen Informationen zum Coronavirus sie beunruhigen: 42,5 Prozent fühlen sich „etwas verunsichert“, 8,9 Prozent „sehr verunsichert“. Diese Verunsicherung ist über alle Bevölkerungsschichten hinweg messbar. Gleichzeitig hat die Corona-Pandemie den Informationsbedarf in der Bevölkerung drastisch erhöht: 45,2 Prozent der Befragten geben an, sich im Vergleich zu der Zeit vor der Corona-Pandemie nun häufiger über Gesundheitsthemen zu informieren.
- Ein Großteil der Befragten wendet Maßnahmen zum Schutz vor dem Virus an: 90 Prozent verwenden eine Schutzmaske, 83 Prozent waschen häufig die Hände und 82 Prozent halten Abstand zu anderen. Mehr als ein Viertel der Befragten gibt an, die AHA-Regel (Abstandhalten, Hygiene/ Händewaschen, Alltagsmaske) nicht umzusetzen. Insgesamt setzen Personen mit einer geringen coronaspezifische Gesundheitskompetenz signifikant weniger verhaltensbezogene Schutzmaßnahmen im Alltag um. Ein besorgniserregender Befund ist die Tatsache, dass mit 8,1% fast ein Zehntel der Bevölkerung angegeben haben, dass das Coronavirus nicht existiere.
- Hinsichtlich der impfbezogenen Einstellungen gibt ein beachtlicher Anteil der Befragten an, dass Impfungen unsicher (10,7%), unwirksam (7,8%) und unwichtig für den Selbst- oder Familienschutz (8,2%) sind. Statistisch signifikante Zusammenhänge liegen für das Alter, den Bildungsstatus, die coronaspezifische Gesundheitskompetenz und den Migrationshintergrund vor. Jüngere Menschen stimmen signifikant häufiger zu, dass Impfungen wichtig sind, um sich selbst oder ihre Kinder zu schützen. Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss haben ein geringeres Vertrauen in Impfstoffe. Menschen mit einer geringen coronaspezifischen Gesundheitskompetenz haben eine größere Ablehnung zu allen vier impfbezogenen Einstellungen: Je geringer die coronaspezifische Gesundheitskompetenz der Befragten ist, desto mehr lehnen sie die Aussagen ab, dass Impfungen wichtig, wirksam, sicher und mit den eigenen Einstellungen und religiösen Überzeugungen vereinbar sind.
- Auch hinsichtlich der Impfannahmen liegen als kritisch einzuordnende Ergebnisse vor: Personen mit einem niedrigeren Bildungsabschluss und jüngere Menschen sind signifikant häufiger der Auffassung, dass Impfungen das Immunsystem überlasten sowie mit schwerwiegenden Nebenwirkungen einhergehen. Frauen geben häufiger an, dass Impfungen schwerwiegende Nebenwirkungen haben können, die über die normalen Nebenwirkungen hinausgehen. Personen mit einer geringen coronaspezifischen Gesundheitskompetenz befürworten signifikant häufiger, dass Impfungen das Immunsystem überlasten bzw. schwächen, schwerwiegende Nebenwirkungen haben und die Krankheiten verursachen können, vor denen sie schützen sollen.
- Ein Viertel der Bevölkerung gibt an, sich nicht gegen das Coronavirus impfen lassen zu wollen, wenn ein Impfstoff eingeführt wird. Weitere 22,3% sind noch unentschlossen. Die Impfbereitschaft ist signifikant höher unter Männern, älteren Menschen, Menschen mit höherem Bildungsabschluss und Personen mit einer chronischen Erkrankung. Eine geringe coronaspezifische Gesundheitskompetenz steht mit einer signifikant niedrigeren Impfbereitschaft im Zusammenhang.
Okan, O., Bollweg, T. M., Bauer, U., Hurrelmann, K., Janner, C., Schaeffer, D. (2021). Trendstudie
zur coronaspezifischen Gesundheitskompetenz: Ergebnisse der zweiten Erhebung der HLS-COVID-19 Studie. Bielefeld: Interdisziplinäres Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung (IZGK), Universität
Bielefeld.
DOI: https://doi.org/10.4119/unibi/2950307.